Bezüglich Bindestrich (-)

Wo steckt er bloss wieder, der Kleine? Nein, liebe Leserinnen und Leser, ich frage nicht nach dem Verbleib eines (zu) antiautoritär erzogenen Sprösslings. Was ich anspreche, wie übrigens schon in meiner ersten Kolumne, ist aber sehr wohl etwas von geringer Grösse, das sich gern ein wenig danebenbenimmt. Im Gegensatz zum inflationär auftretenden Apostroph jedoch geht der Bindestrich, dieses praktische kleine Sprach-Bindeglied, immer mal wieder vergessen. Wie einst Kevin in New York.

Er ist ein Familienmensch, der Bindestrich. Als solcher will er seine Familienmitglieder bei sich haben. Weil er zu Recht findet, sie gehören zusammen. Und so bindet er sie aneinander – Substantive an Substantive, Adjektive an Adjektive, Adverbien an Adverbien. In der Familie der deutschen Sprache ist der Bindestrich besonders gut aufgehoben, denn wie kaum eine andere kombiniert sie gern zusammengehörige Begriffe und schreibt sie dann zusammen, als ein einziges Wort, das man deswegen «Kompositum» nennt (Mehrzahl: «Komposita»).

Und sie ist tolerant, diese Sprache, ihre Kombinationensmöglichkeiten sind im Prinzip unbegrenzt. Vom «Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänskajütentürenschlüsselbund» haben Sie bestimmt auch schon gehört. Ob es ihn wirklich gegeben hat, ist allerdings weniger sicher. Aber ähnlich lange Komposita-Bandwürmer finden sich recht schnell, blättert man Gesetze, Verordnungen und andere in Amtsdeutsch abgefasste Schriftstücke durch. Wobei die Deutschen uns Schweizern da noch etwas voraus haben: Bewundernd und etwas neidisch blicken wir hinüber ins nahe Baden-Württemberg, wo doch tatsächlich ein «Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz» existiert – es ist so lang, dass man sogar seine Abkürzung («LGVFG») nicht wirklich kurz nennen kann. Weil man aber solche Begriffe, wenn man sie schon nicht kürzer schreiben kann, zumindest etwas leichter lesbar machen sollte, muss man sie in kleinere, mundgerechte Portionen aufteilen. Und weil sie halt zusammengehören, «verkoppelt» man sie eben. Mit dem kleinen, herzigen Bindestrich.

Nur, was gehört zusammen – und was nicht? Leider ist die Antwort auf diese berechtigte Frage nicht einfach. Und sie ist mit der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 (in der Schweiz seit 2005 verbindlich) keineswegs einfacher geworden, eher im Gegenteil. Die Regeln der Getrennt- und Zusammenschreibung sind trotz – oder vielleicht gerade wegen – der mehrfachen Überarbeitung der in der Öffentlichkeit eher unbeliebtem Rechtschreibreform zu einem Urwald verwachsen – ein Dickicht, das auch abgebrühte, mit der Duden-Machete bewaffnete Korrektoren nur ungern betreten. Aber sie tun es, so auch Ihr Autor. Also keine Sorge, liebe Leserinnen und Leser! Und in einer Kolumne in nicht allzu ferner Zukunft wird dieser Autor ausserdem versuchen, für Sie das Gestrüpp etwas zu entwirren und zu erklären. Bleiben Sie also dran!

Doch nun zurück zum Bindestrich: Im Grossstadt-Dschungel der heutigen Textflut auf allen Kanälen geht er, wie einst Kevin in New York, leider immer wieder, und immer öfter, verloren. Oder spielt er nur keck «Versteckis» mit uns? Beispiele gibt es auf jeden Fall genug. Und das nicht nur in Gratiszeitungen:

Oben ist er noch brav anwesend und koppelt korrekt «Konsumenten» und «Tipp». Doch plötzlich ist er, Schlag auf Schlager sozusagen, verschwunden (was ja auch leichter fällt in der Nacht). Und schwupps! ist er in der Web-Adresse etwas weiter unten wieder da. Ja, ich weiss, bei Internet-Adressen muss er das, weil sonst der Browser reklamiert … Und ja, ich weiss auch, damit ist das Thema Bindestrich noch längst nicht abgehandelt. Ich könnte nun noch auf ein anderes Korrektoren-Lieblingsthema (schön gekoppelt, nicht?) eingehen: den grossen Halbbruder des Bindestrichs, den Gedankenstrich. Ein vorwitziger Kerl, der sich, zumindest in der Hand ungeübter Schreiberlinge, gerne fälschlicherweise als Bindestrich ausgibt. Da aber wohl nicht nur Sie, liebe Leserinnen und Leser, des Lesens inzwischen etwa so müde sind wie ich des Schreibens, möchte ich Sie damit ebenfalls auf eine hoffentlich demnächst erscheinende Kolumne vertrösten. Ich bedanke mich einstweilen fürs fortgesetzte Interesse und wünsche bis zur nächsten Folge: viel korrektes Deutsch! Ihr Kevin, pardon, Korrektor.